Die Burg Schwaneck
Die schöne Pullacher Geschichte
Herausgeber: Kreisjugendring München-Land · Verfasser: Dr. Britta-B. Schwahn · Verantwortlich: Dr. Franz Zilbauer · Bild: Aquarell von Jakob
@ Copyright by Kreisjugendring München-Land, 1986.
„Früher Jugend schöner Traum"
lm Isartal bei Pullach steht eine freundliche Burg, nicht im finsteren Mittelalter von waffenstrotzenden
Raubrittern erbaut, ohne Burgverlies und Folterkammer. Wie ihr in Stein gehauenes Motto verkündet,
wurde §ie, romantische Bereicherung dieser schönen Gegend, ihren Bewohnern und Gästen, die
kamen, um vom Alltagstrubel auszuruhen, zu entspannen und sich ganz der Phantasie von längst
vergangenen Zeiten zu überlassen, als stimmungsvolle Kulisse erdacht.
,,So steh' denn hier in Gotteshand, der Turm am felsigen Uferstrand,
gebauet nicht um eitle Ehr', zuTrutz nicht oder Waffenwehr.
Nur früher Jugend schöner Traum soll steigen empor im trauten Raum,
der Blick in die Berge, die Luft so klar, vom Flusse das Rauschen wunderbar,
der Freunde Wort und Sag' und Sang erfrische das Herz im Lebensdrang."
Schon nahezu eineinhalb Jahrhunderte erfüllt die Burg Schwaneck diese Absicht.
Die Geschichte der Burg gliedert sich hauptsächlich in vier größere Epochen, die mit der Besitzerfolge
identisch sind; viermal wurde im größeren Stil ergänzt, umgebaut, erweitert, und jedesmal gewann die
Burg einen neuen Aspekt ihres Daseins hinzu. Aber erzählen wir der Reihe nach.
Der Weg zur deutschen Romantik
Alles begann mit einem . . . berühmten Künstler, dem Hofbildhauer König Ludwigs l. von Bayern, mit Ludwig Michael Schwanthaler. Dessen Jugend fiel in
die Zeit der großen politischen Veränderungen in Europa. Die Französische Revolution war 1789 vorausgegangen und brachte das freiheitliche
Gedankengut der Aufklärung bis in die entferntesten Kleinstaaten. Dann überzog Napoleon den Kontinent mit Kriegen, ordnete alles neu nach seiner
Willkür und erreichte damit, daß sich die Völker Europas auf ihre eigene Geschichte und Kultur zurückbesannen. Der nationale Gedanke war geboren,
und aus diesem Gedanken heraus erwuchs auch in den deutschen Staaten der Widerstand der Patrioten. Überall im zersplitterten deutschen Reich
vereinten sich national fühlende Kräfte in der Besinnung auf das ,,Teutsche", das, wie man glaubte, in altehrwürdiger Zeit, ohne Zwist und Hader, einst
etwas Gemeinsames gewesen sein müsse. Daran zu erstarken und ein neues gelobtes Zeitalter deutscher Blüte und Kultur erstehen zu lassen, dessen
reinste Form ihnen im deutschen Mittelalter vor Augen stand, war ihre Hoffnung. Die Sehnsucht nach Kaiser und Reich erwachte. Von diesem Ansatz
führte der Weg durch das 19. Jahrhundert in geradliniger Entwicklung zur Gründung des Zweiten Deutschen Kaiserreiches 1871. Doch erfaßte das
Nationalgefühl zunächst nur die gebildeten Schichten des Volkes, nicht die Nation in ihrer Gesamtheit. Einer der feurigsten Verfechter der frühen
nationalen Bewegung zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Thronfolger eines von Napoleon 1806 eingesetzten Königs, war Bayerns Kronprinz Ludwig,
der von 1825 bis 1848 als König Ludwig l. regierte.
Den aus dem deutschen Idealismus erwachsenen patriotischen Befreiungskriegen, die 1813 durch die Völkerschlacht bei Leipzig entschieden wurden,
folgte der endgültige Sturz Napoleons, mit dem Wiener Kongreß 1814/15 die Neuaufteilung der politischen Gewichte und der Eintritt in eine restaurative
Phase. Als Gegenkraft zu den zersetzenden Ideen der französischen Revolution erstarkte in der 1815 gebildeten „Heiligen Allianz“ eine Reaktion, die in
der „Pflege der Religion, des Friedens und einer patriotisch-sittlichen Staatsordnung" das Heil sah. Freiheitlich-nationale Bestrebungen, von denen weite
Kreise des Bürgertums auch in den deutschen Staaten erfaßt wurden. erlitten als Ergebnis der Pariser Julirevolution von 1830 einen Rückschlag.
Andersdenkende wurden nun verfolgt, die freie Presse unterdrückt. Die Menschen zogen sich resigniert in die Privatheit zurück. Das politische Leben
erstarb in den Staaten Europas; stattdessen griffen romantisch-poetisch umnebelte Vorstellungen vom Vaterland um sich.
In der Kunst spiegelt sich die Geschichte. Bereits in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts schwärmten die Dichter des Sturm und Drang für die Zeit des
Rittertums als dem Zeitalter der altdeutschen Kraft und Stärke; alte Volksdichtungen wurden wiederentdeckt. Das klassizistische Ideal wurde vom
historisch-patriotischen abgelöst. Man erging sich, zunächst gefühlsmäßig, in romantischer Kunstauffassung und Phantasie, später in der Erforschung
und Verherrlichung der großen deutschen Vergangenheit. Zum festen Bestandteil der romantischen Träumerei gehörte die mit Burgen und Ruinen
belebte Landschaft. Die alten Dome wurden restauriert und fertiggebaut, die alten Burgen erwandert und besungen. ln Köln begannen die Brüder
Boisserée die von der Säkularisation verstreuten mittelalterlichen Tafelgemälde zu sammeln, mit deren Ankauf später König Ludwig den Grundstock zu
der Altdeutschen Abteilung in seiner Pinakothek legte.
Ludwig Michael Schwanthaler
Ludwig Michael Schwanthaler war ein echtes Kind dieser Zeit. Seine Jugendjahre fielen in die nationale Aufbruchphase. Die romantischen Vorstellungen
vom jugendlich-reinen, tiefreligiösen Mittelalter beherrschten auch ihn, der seiner Phantasie mit den neuaufkommenden Ritterromanen, mit alten Sagen,
Heldengedichten und Legenden, die man jetzt überall las, Nahrung bot.
Er war am 26. August 1802 in München geboren; Sproß einer seit Jahrhundertcn im lnnviertel - dieses gehörte bis 1779 zu Bayern - greifbaren Bildhauer-
und Schnitzerfamilie. Seit einer Generation nun schon genoß der Hauptzweig der Familie in München Bürgerrecht. Ehe sich Schwanthaler zum
berühmtesten bayerischen Bildhauer seiner Zeit entwickelte, ging alles den üblichen Gang: Erster künstlerischer Unterricht beim Vater Franz Jakob,
Besuch des Gymnasiums, danach der Münchener Kunstakademie, wo er u.a. Schüler beim Schlachten- und Pferdemaler Albrecht Adam wurde. 1826-27
Studienaufenthalt in Italien, vom jungen König Ludwig l. finanziert und angespornt. ln Rom war er Schüler des derzeit berühmtesten Bildhauers, des
Dänen Bertel Thorwaldsen. Er verkehrte im deutschrömischen Künstlerkreis, dessen treibende Kraft von Ludwig l. ausging.
In Ludwig hatte Schwanthalers Talent seinen Förderer gefunden, und es ergab sich die glückliche Konstellation, daß sowohl beim König als auch bei
Schwanthaler klassisches mit romantischem Ideengut im sogenannten romantischen Klassizismus eine Symbiose einging. Schwanthaler beherrschte den
klassischen Aspekt der offiziellen Auftragskunst vollendet. Seine private Kunst aber - zahlreiche Blätter mit Skizzen und Entwürfen geben Zeugnis davon -
lebte sich in deutschtümelnder romantischer Phantasie aus, die der Sagenwelt eines Moritz von Schwind nahesteht. Immer wieder trifft man in dieser
Welt auf Ritter, Burgen, Sagengestalten - eine Traumwelt also, die in vielen Blättern der Schwanthaler-Sammlung des Münchener Stadtmuseums
aufscheint.
Die Gesinnungsgenossen
Am 29. April 1819 wurde in Anwesenheit von Kronprinz Ludwig in Rom, in altdeutscher Gesinnung, das berühmte Künstlerfest inszeniert, von dem sich
im weiteren die Aktivitäten der Münchener Künstlerschaft stark anregen ließen. In dessen geistiger Folge entstand als eine der ersten
Künstlervereinigungen zum Namenstag von Kronprinz Ludwig , am 25. August 1819, also kurz nach dem römischen Fest, das Bündnis .,Humpenau", seit
1826 ,,Humpenburg". Die Initiative zum Zusammenschluß war von Schwanthaler ausgegangen. lm Münchener Atelier der Schwanthalers, in der 1803 bei
der Säkularisation dem kirchlichen Gebrauch entzogenen Salvatorkirche und später im neuen Atelier in der Lerchen-, seit 1850 Schwanthalerstraße,
gruppierte sich ein Freundeskreis in der Art eines mittelalterlichen Ritterbundes, der die alten Zeiten deutscher Ritterherrlichkeit wiederaufleben lassen
wollte. sie mit spielerischer Freude nachstellte. lm Saal, der als mittelalterliche Trinkstube ausgestattet wurde, saß man an schweren Eichentischen, trank
aus riesigen Humpen, diskutierte über die Erneuerung deutscher Kunst und durchlebte in selbsterdachten Ritterstücken, in historisch nachempfundene
Kostüme gewandet, längst vergangene Zeiten. Diese eher trinkbrüderliche Vereinigung um den humpenbepflanzten Genossenschaftstisch einte - wie
Franz Trautmann, Schwanthalers Biograph schreibt - die „wesentliche Geneigtheit, der Neuzeit um jeden Preis vor den Kopf zu stoßen“. Die Mitglieder
führten phantasievolle Namen, die mit Selbstironie den Einzelnen charakterisierten: Ludwig Schwanthaler war der „Storchenauer"; sein Vetter und
engster Mitarbeiter, der Bildhauer und Modelleur Franz Xaver Schwanthaler, firmierte als ,,Kuno von der Humpenau", kurz ,,Kunivogl"' Und es wird des
öfteren rühmend erwähnt, wie er vorzüglich die Gestalt des Burgvogtes abgab. Wegen seiner auffallend schönen, langen Haare wurde Heinrich
Hartmann, ein Architekt aus Koblenz, „Kaiser Henricus auceps" benamst. Der Bildhauer Hotz von Kostnitz - er trat, stilvoll und vielbeneidet, in einem
gelben Ritterrock auf - hieß „Otto der Vielerlauchte". Weitere Mitglieder waren in der Anfangszeit der Goldschmied Peter Werner, der Maler und
Restaurator Franz Xaver Lang, Kropf von Windbruch, Johann Mühlgraber u.a. Um die Ritter scharten sich ihre Knechte und Reisige, die nach bedeutenden
Taten die höheren Weihen der Ritterschaft erlangen konnten. Selbst ein Burgpfaff fehlte nicht.
Seit 1824 war Ludwig Schwanthaler freundschaftlich mit Franz Graf Pocci verbunden, der später wegen seiner humorvollen Kasperlstücke, die er
zwischen 1854 und 1858 für die Münchener Marionettenbühne schrieb, von den Münchnern liebevoll „Kasperlgraf" genannt wurde. Als Nachfolge der
„Humpenau" gründete man im Hause Poccis die „Gesellschaft vom Einhorn“. lm Mittelalter galt das Einhorn als Symbol von Mannestugend und
männerlicher Kraft. Aber es schien sich in diesem speziellen Fall als böses Omen zu erweisen, und die Genossenschaft taufte sich 1824 in derer „Vom
Bären" um. Zu den Bärenrittern zählten folgende Honoratioren: Graf Pocci, der als „Ritter Diepoldt“ seine Späße trieb; Sundal, der sich „Rodenthaler"
nannte; der Philologe und Poet Friedrich Beck als „Brezenheimer“; der Künstler Helldobler als „Kreuzlinger"; der seines Aber- und Geisterglaubens wegen
viel sekkierte, kurze und runde Baron Nothhaft als „Haftl, Freiherr“; Heinrich Hofstätter, der Jurist und spätere Bischof von Passau; Julius Hamberger;
Hans von Aufseß, der l852 als „Wissenschaftliche Anstalt für die gesamtdeutsche Altertumskunde" das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg
gründete; die Maler Josef Schlotthauer, Joseph Petzl, Wilhelm Lindenschmitt und Philipp Foltz; der Erzgießer Ferdinand Miller; der Maler und Tierplastiker
Sebastian Habenschaden. - Ein wahrlich illustrer Kreis also, der sich da ergötzte. Mit Vorliebe überfiel man sich gegenseitig, plünderte einander aus und
feierte dann bei gewaltigen Zechgelagen wieder Versöhnung. Zu ihren improvisierten Ritterstücken gaben sie künstlerisch gestaltete Programmzettel mit
Angabe der Besetzung und einer Kurzfassung des Inhaltes heraus. In der Zauber-Oper mit Gesang „Die letzten Ritter" stand Schwanthalers Traum von
seiner zukünftigen Burg Schwaneck schon im Mittelpunkt des Geschehens:
Insonderlicher, kurzer Inhalt.
lm ersten Actus wird der herzogliche Geheimschreiber Becker von Beck von denen Wegelagerern im Hesseloher Walde aufgehoben und unter empörenden
Mißhandlungen in das Burgverlies zu Schwaneck gestürzt.
lm zweiten Actus: Großes Trinkgelage im Rittersaal zu Burg Schwaneck.
lm dritten Actus läßt sich Ritter Wambo v. Bärenhart mit den Raubrittern zu Schwaneck in eine heimliche Verschwörung ein.
lm vierten Actus: Erscheinung des Schutzgeistes, welcher sich aus den Fluthen der lsar in bengalischem Feuer erhebt und den Ritter Ludwig von Schwaneck warnt,
während der wilde Kunivogl sich dem Zauberer verschreibt.
lm fünften Actus wird die Burg Schwaneck von den herzoglichen Landsknechten grausam belagert, und der Ritter Ludwig von Schwaneck von dem Schutzgeiste
auf eine unbegreifliche Weise gerettet.
lm sechsten Actus Eroberung der Burg Schwaneck und Enthauptung des bösen Kunivogls.
lm siebenten Actus wird die Burg Schwaneck als gefährliches Raubnest nebst dem vermaledeiten Zauberer in die Luft gesprengt, und es erscheint nun eine
Verklärung im Brilliantfeuer, in welcher man den Ritter Ludwig von Schwaneck im härenen Gewande als frommen Einsiedler erblickt.
In der Gleichstimmung spätromantischer Gesinnung und historischgesamtdeutscher Auffassung, gründeten die Münchener Künstler in dieser Zeit eine
Reihe weiterer Kunstvereine, von denen z.B. „Allotria" oder „Die Turmfalken" heute noch bestehen. Ihre Feste, die zu einem Bestandteil des Münchener
Lebens geworden waren, gestalteten sie in ausgreifender historischer lnszenierung als Dürer-, Barbarossa-, Wallenstein-, Rubens- oder Bismarckfest.
Nach der „Humpenburg" wurde 1831 die ebenfalls dem Geist des Mittelalters verpflichtete „Gesellschaft für teutsche Altertumskunde zu den Drey
Schilden" für die Künstler der romantischen Kunstrichtung wichtig, die 1837 im Historischen Verein von Oberbayern aufging. Geistige Väter aller dieser
Zusammenschlüsse waren eigentlich aber Ludwig Schwanthaler und Graf Pocci.
Wie im Historismus üblich, arbeitete auch der Bildhauer Ludwig Schwanthaler in den verschiedensten Stilen, jeweils auf die künstlerischen Erfordernisse
des gerade zu behandelnden Themas abgestimmt und gestaltete so sein Gesamtwerk außerordentlich vielseitig und umfangreich. Seine große
Werkstätte beschäftigte zeitweise fünfzig Mitarbeiter, denen der Vetter Xaver vorstand. Die Thematik reichte im Falle Schwanthalers von der antiken
Götter- und Heldenwelt bis zur germanischen Mythologie, von den christlichen Heilszyklen über die Historie der Kreuzzüge bis zur bayerischdeutschen
Geschichte. U.a. arbeitete Schwanthaler für die Neue Residenz König Ludwigs I., für die Glyptothek und für die Pinakothek in München. Die
Siegesgöttinnen der Walhalla bei Kelheim, jenem von Ludwig l. 1832-42 errichteten ersten gesamtdeutschen Nationaldenkmal und die Denkmäler vieler
berühmter Persönlichkeiten im ln- und Ausland sind ebenso von ihm wie die romantische Brunnenfigur der Nymphe von Schloß Anif bei Salzburg. Aber
der Ruhm sämtlicher Werke wurde durch sein letztes, die kolossale Figur der Bavaria auf der Münchener Theresienhöhe überstrahlt, deren schwieriger
Bronzeguß dem Erzgießer Ferdinand von Miller erst 1850, zwei Jahre nach Schwanthalers Tod gelang. In Anerkennung seiner Verdienste erhob König
Ludwig Schwanthaler in den Ritterstand und schenkte ihm, sehr wohl dessen romantische Sehnsucht kennend, ein unbebautes Grundstück am
aussichtsreichsten Punkt einer Isarkrümmung, den „Gern", d.i. „Landspitze", etwa auf halbem Wege zwischen dem damals schon beliebten Münchener
Ausflugsziel Großhesselohe und dem Dorfe Pullach, was seinen Namen nach dem ihn umgebenden lichten Buchenwald erhielt. Das war die Gegend, die
bereits der Knabe Schwanthaler durchstreift und deren Waldeseinsamkeit er mit Visionen von Burgen und Helden bevölkert hatte. Hier siedelte er seine
historisch-romantische Novelle „Burg Schwaneck oder der Lindwurm und der Riese" an, die als Stegreiferzählung im Pullacher Wirtshaus bei der „Wirtin
zur langen Nase" entstanden war, die aber ihrem legendenhaften Gehalt nach ebensogut eine uralte Lokalsage sein könnte. Und hier erbaute sich
Schwanthaler sein Refugium, wie er glaubte oder glauben wollte, auf historischem Boden. Die damalige Geschichtsforschung hielt es für möglich, daß an
der Stelle der Burg Schwaneck einst ein verschollener Edelsitz angesiedelt war, wie sie in großer Zahl von den bajuwarischen Adelsgeschlechtern an den
Ufern von Isar und Amper angelegt worden waren. In alten Dokumenten ist bereits um 740 von einer Burgstelle Hessingloh die Rede, und noch 1450
wird sie als Aufenthaltsort des Sängers Hans von Hessinloh, dessen Lieder 1889 veröffentlicht wurden, genannt. Danach trat die Burg ins Dunkel der
Geschichte zurück; der Ort ihres Bestehens fiel in völlige Vergessenheit. Bei Bauarbeiten auf Schwaneck stieß man gelegentlich wohl auf alte
Fundamente, die jedoch in keinen historischen Zusammenhang zu einer früheren Burgstelle gebracht werden konnten. Daß diese Gegend aber in
weitzurückliegenden Zeiten besiedelt war, beweisen die vielen archäologischen Funde wie die Pullacher Fürstengräber aus der Hallstattzeit. die
Grünwalder Urnenfelder und natürlich auch das quer durch den Forst verlaufende Teilstück der Via Claudia Augusta, jener großen, Nord-Süd
verbindenden Römerstraße, die über den Brennerpaß führte. Die Spuren sind noch heute im Gelände gut erkennbar, denn bis ins hohe Mittelalter hinein
wurde diese Straße als Hauptverbindung zwischen Augsburg und Salzburg benutzt. Ebenfalls bis ins 12. Jahrhundert schützte die Ministerialenburg in der
,,Römerschanze" bei Grünwald den Isarübergang.
Der Burgstall
Sobald Schwanthaler nun dieses Grundstück zur Verfügung stand, machte er sich auch schon an die Ausführung
seines architektonischen Traumes. Friedrich von Gärtner (1792-1847), der Freund und berühmte Architekt der
Münchener Staatsbibliothek, der Feldherrnhalle und vieler anderer bedeutender Bauwerke wurde zu Rate
gezogen. 300.000 Gulden veranschlagte der zur Realisierung von Schwanthalers reichem Vorentwurf. Und es
stellte sich heraus, daß Schwanthalers finanzielle Möglichkeiten für ein solches Zauberschloß mit allerlei Türmen,
Zinnen, Verliesen und sogar einer richtigen Schloßkirche bei weitem nicht ausreichen würden. Franz Trautmann
schildert die tragik-komische Baukostenkalkulation, bei der die Idee mehr und mehr zusammenschrumpfte:
Wie nun derselbe Gärtner kam und die Aufriße in Augenschein nahm, konnte er nicht läugnen, daß die Burg.
welche sich Ludovicus bauen wolle, eine überaus wohl erdachte und herrliche werden würde, und sagte: Wenn
der Meister mit dem Geld nachhalten könne, biete er gerne die Hand, und es sollte eine Burg werden, von
welcher man in allen deutschen Landen sprechen würde. Es möchte aber so ein 300.000 Gulden kosten. Als der Storchenauer von denjenigen 300.000
Gulden hörte, wollte er's nicht glauben. Der Gärtner bewies es ihm aber haarklein. Hierüber erschrak der Schwanthaler-Storchenauer so sehr, daß er
etliche Zeit kein Wort über die Lippen brachte. Sagte der Vetter Xaver, welcher auch bei der Verhandlung war: „Also wenn's zuviel ist, machst halt den Bau
geringer. Dann geht's am Geld auch 'runter. Jetzt delirt man einmal die zwei Prachtthürme." Sagte der Storchenauer: „Das thun wir. Auf, Gärtner, was
kost's jetzt?" Sagte der Gärtner, sich um seine fest vollen Wangen streifend: „Da kost's freilich weniger, und ein sechzig tausend Gulden betragt es sicher."
„Wären demnach noch ein 240.000 Gulden - " sagt der Xaver. „Ist noch zu viel." „Ja, ist noch viel zu viel", wiederholte der Ludwig. „Also lassen wir den
ganzen Seitenbau weg" - meinte der Xaver. „Was kost's jetzt?" „Geh'n auch wieder ein 60.000 Gulden ab", versetzte der Gärtner. „Also wären's nur noch
180.000 Gulden", sagte der Xaver. „Da hätten wir doch schon bedeutend heruntergehandelt. Was meinst, Ludwig, wir müssen halt doch noch allerhand
wegthun." Auf Dieß griff sich der Ludovicus ein wenig krampfhaft in sein glänzend schwarzes Lockenhaar und sagte: „Müßten eben die Schloßkirch' oder
die gothische Kapell weglassen und eine andere hinpostiren - hab' freilich eine recht schöne in Absicht gehabt. Nun was kostet's denn etwa dann -?"
„Dann könnten wir's wieder um ein 60.000 Gulden 'runtersetzen", sagt der Gärtner. „Sind halt noch immer 120.000 Gulden", sagte der Xaver - „nur noch
mehr weg, viel mehr!" „O du grundgütiger Himmel", seufzte der Storchenauer. Aber es half alles Seufzen nichts. Fort und fort ging's mit dem Weniger und
Weniger. Einen Ast um den anderen raubte der grausame Gärtner vom Hoffnungsbaume des Storchenauers, bis sich dann eine Summa herausstellte,
auf welche sich Derselbe einlassen wollte. Das waren so ein zwanzigtausend Gulden - es kam aber späterhin doch auf mehr. Wie denn Das so ist. Die
Baumeister wissen es oft selbst nicht genau. Kurz der Storchenauer machte den Aufriß nach jetzigen Möglichkeiten auf's Neue zurecht …".
Ausgehend von dem bewußten Wiederaufleben der Gotik im englischen Schloßbau gegen Ende des 18. Jahrhunderts, hatten gerade in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Burgen und Schlöser eine neugotische Wiederbelebung unter dem Aspekt der romantischen Burgensehnsucht
erfahren. Unter anderem baute 1808-17 Karl Alexander Heideloff die mittelalterliche Sommerresidenz der Coburger Herzöge, Schloß Rosenau, als eines
der frühesten Bauwerke Deutschlands im neugotischen Stil um. Ebenso wie bei Schloß Rosenau floß bei der Neugestaltung von Jagdschloß
Waldleiningen bei Amorbach, 1828-47, von Schloß Neu-Richmond bei Braunschweig, 1833-38, und von Schloß Fischbach bei Breslau, 1830-46, noch viel
von der englischen Auffassung der Neugotik ein. 1833-48 erweiterten Schinkel und Persius Schloß Babelsberg bei Berlin, 1833-53 baute Domenico
Ouaglio die mittelalterliche Burg Hohenschwangau um. 1836-42 wurde nach Plänen Schinkels die Burg Stolzenfels, 1836-43 von Friedrich Eisenlohr die
alte Reichsburg Ortenberg nahe Offenburg, heute im Besitz des Deutschen Jugendherbergswerkes, und 1837-42 wurde die verfallene Burg Lichtenstein
auf der Schwäbischen Alb, angeregt durch Wilhelm Hauffs Roman von 1826, nach Plänen Heideloffs wiedererrichtet. 1838-48 wurde Schloß Anif bei
Salzburg, für das Schwanthaler seine schöne Nymphe geschaffen hatte, neogotisiert. Die zusehende Verbürgerlichung der einst signifikanten
Herrschaftsstrukturen von Burg- und Schloßarchitektur, hatte seine Vorgabe in der gotischen Villa von Strawberry Hill, Twickenham, England, die sich der
Architekt Horace Walpole 1750-70 als Landsitz erbaut hatte. Die starke formale Beziehung von Schwanthalers Entwurf für die Burg Schwaneck zur
englischen Herrenhausarchitektur, insbesondere zu dem 1434-45 als Burg ohne Wehrfunktion erbauten Tattershall Castle in Lincolnshire, dessen
bürgerlicher Nutzung die Hoheitszeichen einer Wehrarchitektur als absichtsvolle Maskerade vorgesetzt sind, beruht demnach auf architekturhistorischen
Momenten. 1840 wurde auf Schwaneck mit den Bauarbeiten begonnen, und 1842 war sein „Burgstall“, wie Schwanthaler den Schrumpfbau scherzhaft
nannte, vollendet.
Dieser bestand aus einem 26 m hohen, viereckigen Hauptturm, dem Belfried, mit dem achteckig nordwestlich vorgelagerten Treppenturm. Eine
Ringmauer mit Wehrgang und Zinnen umschloß das Burggelände; über den äußeren Graben führte eine Zugbrücke. Vom Schwanecker Brunnhaus an
der Stelle der heutigen Heilmann-Ouelle unten an der Isar wurde frisches Ouellwasser zum Brunnen in der Mitte des Burghofes hinaufgepumpt.
Der Wohnturm, der einen französischen Donjon oder einen englischen keep nachahmt, besteht im unteren Bereich aus Bruchsteinquadern und ist im
oberen Teil ein Blankziegelbau. Ebenerdig war die Wohnung des Kastellans mit einem kleinen Stübchen, aber einen dafür um so größeren Ofen daneben,
gelegen. Über eine kleine Treppe erreichte man den im „byzantinischen" Stil gehaltenen Eingang zum Turm. Als Hinweis auf die Entstehung der Burg in
staufischer Zeit und im weiteren Sinn auf die Frühzeit der bayerischen Geschichte hatte Schwanthaler darüber weiße Kalksteinreliefs von Kaiser
Barbarossa, seiner Gemahlin, Beatrix von Burgund und des Bischofs Otto von Freising, der ein Onkel Barbarossas war, angebracht. lm zweiten
Turmgeschoß wurden Wohn- und Schlafraum eingerichtet, die genau wie der hohe Rittersaal des dritten Geschosses, mit westlich vorkragender Kapelle
in Holzkonstruktion, mit Spitzbögen, gotisierend, erschienen. ln diesem Saal, den Schwanthaler wieder als Bankettsaal, als neue Humpenburg,
ausstattete, waren riesenhafte alte Pokale aufgepflanzt zur „steten Erinnerung an die Leisiungen unserer Ahnen". Vom Saal aus gelangte man auf den
steinernen Balkon hoch über der Isar, von wo der Blick über die alte Burg von Grünwald weit ins Gebirge hineinschweift. Man sieht die Salzburger Berge,
die Zugspitze und die Kette der Allgäuer Alpen. Über dem Balkon brachte Schwanthaler, eingedenk der göttlichen Vorsehung, die einen tödlichen Sturz
vom luftigen Baugerüst des Turmes hinab in die Tiefe der Isarschlucht verhindert hatte, eine Inschrifttafel an. Wie bei einem richtigen Wehrturm erhielt
die oberste Plattform einen Zinnenkranz. Dort oben pflanzte der Burgherr einen Schwan auf, den er aus den Reifen alter Fässer geschmiedet hatte.
Bereits im Jahre 1679 wurde dem Vorfahren Thomas Schwanthaler der Wappenbrief mit dem Schwan als Wappenbild verliehen. Am Wohnturm brachte
der Künstler Reliefs an, das Schwanenwappen, sein eigens für diese Stelle entworfenes Hauswappen und solche, die auf die sagenhafte Entstehung der
Burg hinweisen: Der Riese, ldeal der Stärke, tötet mit kühnem Streich den bedrohlichen Lindwurm auf dem einen und entführt auf dem anderen eine
Frau. Mit der umfangreichen Mittelaltersammlung, die Schwanthaler im Laufe der Zeit zusammengetragen hatte - es handelte sich um Gemälde,
Skulpturen, Schnitzaltäre, Rüstungen und Waffen - wurden die Räume ausgestattet und interpretiert.
Ein Gesamtkunstwerk war entstanden. Die Phantasien über eine wechselvolle Geschichte der Burg seit ihrem Anfang in grauer Vorzeit erscheinen als
Architekturzitate, als legendenträchtige Wappen und Bildnisse und erreichen mit der Verwendung von wirklich alten Versatzstücken (Spolien)
dokumentarischen Charakter. ln passender landschaftlicher Situation, in einem mittelalterlichen architektonischen Kostüm und darauf bezogener
historischer Innenausstattung spiegelt sich der Geist der Epochewider und stellt die romantische Selbstinszenierung seines „Erfinders" ganz und gar
einheitlich dar. Das äußere und innere Ambiente stimmte und veranlaßte die Zeitgenossen zu der Frage: „lst diese romantische Gegend wegen des
Gebäudes oder dieses wegen der einzig schönen Gegend da?"
1843 wurde Schwaneck mit einer zünftigen Burgerstürmung eingeweiht. Schwanthaler schrieb an den Freund und Kunstphilosophen Friedrich Beck, der
das Gedicht über dem Turmeingang verfaßt hatte:
Lieber Freund!
Deine Poesie wurde also mit altdeutschen Lettern in Stein gehauen und am Turme angebracht, in einer Höhe, wo sie recht gut gelesen werden kann; sie findet
allgemeinen Beyfall und wurde gewiß schon mehrere Dutzendmal abgeschrieben. . .
Die Comödie in meinem Hofe selbst war ohne weiteres der reizendste Theil des ganzen Tages. . . Ein Tisch voll Geharnischter saß beim Burgthor, eine Gruppe stand
oben am Eingang. Einzig in seiner Art. Die Modernität wurde nur unter abwürdigenden Worten eingelassen. Denke Dir hinzu, die blaue Luft, den alterthümlichen
Bau, die Gegend, die Frühe, Bier, Scheiben usw.
Komm bald auf die Burg.
stets Dein Schwan.
Einen anderen Brief unterzeichnete Schwanthaler „Dein Ritter in der Schlafhauben", die Tragik seiner Krankheit überspielend, die ihn leidend und
künstlerisch nahezu untätig, ans Bett fesselte. Nur kurz konnte er sich noch an Schwaneck erfreuen.
1848, im Jahr der revolutionären Bewegungen, aber auch des langersehnten Zusammentritts der ersten Deutschen Nationalversammlung in der
Frankfurter Paulskirche und der Schaffung der deutschen Reichsverfassung, stirbt Schwanthaler am 14. November, erst 46 Jahre alt. Nur eine einzige,
schmerzensreiche Nacht - so berichten die Chronisten - hatte er auf seiner Burg verbracht. Er wurde, wie so viele berühmte Münchener, auf dem
Südlichen Friedhof, in den Neuen Arkaden, beigesetzt. Seine Grabstätte kann man heute noch dort finden.
Kunivogl, Herr auf Schwaneck
Nun trat Franz Xaver Schwanthaler, geboren 1799 in Ried/Oberösterreich, den Schwanthaler seine „rechte Hand" zu nennen pflegte, das Erbe auf
Schwaneck an. Aber auch ihm waren nur noch wenige Jahre vergönnt. 1854 wurde in München mit einer Kunst- und Industrieausstellung der Glaspalast
eröffnet; im gleichen Jahr überzog wieder eine Cholera-Epidemie die Stadt und erst 1873/74 sollte die letzte sein. Königin Therese fiel ihr zum Opfer und
Ludwig 1., seit seiner von seinen Bayern widerspruchslos hingenommenen Abdankung 1848 nach der Affäre um Lola Montez, zutiefst verwundet, mußte
nun auch diesen Schicksalsschlag tragen. Auch Xaver Schwanthaler wurde von der Seuche dahingerafft. Sein Grabrelief brachte Rudolf Schwanthaler, der
Sohn, heute rechts vom ehemaligen Kapelleneingang, im Burghof an. Die Figur zeigt den „Kunivogl" der Ritterspiele; Xaver als schwerttragender
Gerüsteter, mit dem Schwan und einem Wappen, das Humpen, Bildhauerzeichen, Schwert und Schwan im Bilde führt. Links vom jetzigen
Wohnturmeingang sieht man Ludwig Schwanthalers Grabrelief, darauf den gerüsteten Schwanenritter mit Schwanenhelm, Schwanenwappen, Schwert
und dem Modell der Burg.
Historismus total
Xaver Schwanthalers Kinder, Rudolf und Sophie. erbten den Besitz, schrieben ihn aber schon bald öffentlich zum Verkauf aus. Es traten verschiedene
Kaufwillige auf den Plan. Einer von diesen wollte sogar ein Kaffeehaus auf der Burg einrichten. So war es ein Glück, daß Schwaneck 1863 an den
königlichen Kämmerer Karl Mayr Ritter und Edler von Mayerfels (1825-1883), einen Mann, der tief im historischen Denken verwurzelt war, käuflich
überging. Als Heraldiker hatte sich Mayerfels u.a. durch das Werk „Der Wittelsbacher Stamm-, Haus- und Geschlechtswappen" einen Namen gemacht.
Seine Zeitgenossen beschrieben ihn als titelsüchtig. Nicht nur, daß er bereits mit einer stattlichen Anzahl europäischer Orden und Auszeichnungen
geschmückt war, bewerkstelligte er durch den Ankauf alter Burgen, Schlösser und Herrensitze, die er mit großer Begeisterung restaurierte und umbaute,
daß er seinem Namen auch diese Orte noch als Attribute hinzufügen konnte. So geschehen im Falle Schwaneck wie auch 1878, als er die Große
Meersburg am Bodensee erwarb, die seit Annette von Droste-Hülshoffs Aufenthalt 1841-44 Berühmtheit erlangt hatte. Während einer kurzen Bauzelt
von kaum mehr als drei Jahren ergänzte Mayerfels den „Burgstall" Schwanthalers zu einem kompletten mittelalterlichen Rittersitz. Er paßte die
verhältnismäßig kleinen Räume den Wohnzwecken seiner Familie an und verstand es, die strenge Eigenart der altertümlichen Raumstrukturen mit
modernem Komfort zu verbinden. Zur lsar hin sicherte er die Gebäude gegen einen möglichen Hangrutsch. Er baute in romanischer Formensprache die
zweigeschossige Hubertuskapelle mit Empore und trug sich mit dem Gedanken, dort die Familiengruft anzulegen. Gemalte Prunkwappen und feinlinige
Malereien in der Art hochmittelalterlicher Buchmalerei zieren im Innern die Wände. Leitmotive des Außenbaues sind runde Apsis - dort erscheint das
Relief des heiligen Hubertus, Patrons der Jäger - Glockengiebel, säulenflankiertes Rundbogenportal und ein reichgeliedertes Arkadenfenster darüber. An
die Kapelle schloß Mayerfels ein ebenfalls zweigeschossiges Nebengebäude an, bei dem er nun die frühe Gotik mit Treppengiebel, spitzbogigen Türen
und Fenstern mit eingeschriebenem Dreiblatt anklingen ließ. Nordöstlich setzte er diesem Trakt einen zweiten Bergfried vor, in Mauertechnik, rund und
schlank aufragend, mit Zinnenbekrönung und Holzerker, der den Kapellenerker von Schwanthalers Wohnturm wiederholt. Rechtwinklig dazu entstand im
nördlichen Burghofabschnitt ein verdeckter Wehrgang, dessen Wölbungen er in genialer Weise beim Bau seiner großen Trinkhalle einbezog. Diese, ein
gotisierender, langer und schmaler Hallenbau, war an der Hauptfassade zum Hof durch einen schön proportionierten Stufengiebel, der die Trauflinie
durchbrach, ausgezeichnet. Von da aus wurde in die malerisch gruppierte Eingangssituation mit quadratischem Torturm übergeleitet. Die innere
Ausstattung des „Humpenburgsaales" muß man sich ähnlich der früheren Schwanthaler-Vorbilder denken. Das Wissen um diese war Mayerfels ja
präsent. Wappentafeln und Gedenksteine nach Mayerfels' Zeichnungen sind überall im Mauerwerk versetzt und vervollständigen den Eindruck des
historisch Gewachsenen. Auf zahlreichen Wappensteinen veranschaulichte der Bauherr die Geschichte des Deutschordens und dessen eigentümlichen
Wappenkreuzes, das die Mayerfels, deren Vorfahren die Maier des Deutschordens waren, in ihrem Wappen führten. Mit Leidenschaft sammelte
Mayerfels mittelalterliche Waffen und sonstige kulturhistorische Merkwürdigkeiten. Damit stopfte er nun Schwaneck voll. Als er 1883 starb, benötigten
seine Erben dreißig vollgeladene Waggons eines Extrazuges, um die Schätze zur Meersburg, dem neuen Familiensitz, zu verfrachten. München hatte
wieder ein Stadtgespräch. Unter dem Hinweggeschafften befanden sich auch die Ausstattungsstücke aus Schwanthalers Zeit, die jetzt auf der Meersburg
zu finden sind.
Wie sehr sich der Historiker Mayrfels in die Rolle als Burgherr auf Schwaneck eingelebt hatte, wird mit folgender Geschichte kolportiert, die der
München-Chronist Anton Sailer genüßlich ausschmückt: Täglich trat Mayerfels auf den hohen Söller hinaus und schwenkte einen Humpen zu den
Isarflößern hinunter, bis er auf die ldee kam, mit einem Sprachrohr den Burgvogt zu spielen. Auf altdeutsche Art rief er den Flößern zu: „Von wannen
kömmt ihr, und, wohin, reisige Mannen, trägt euch lsara von dannen?" und wartete gespannt auf deren Reaktion. Auf dem Floß aber legte ein stämmiger
Oberlandler die Hände an den Mund und zitierte den Gruß des Götz von Berlichingen. Und ein freundlicher Aufwind sorgte dafür, daß die Worte oben
ankamen. Die Verständigung hatte geklappt, doch verzichtete der akademisch geschulte Burgvogt auf weitere Begrüßungen.
Mayerfels ist aber nicht nur als Burgherr von Schwaneck in Pullach in Erscheinung getreten. Er beteiligte sich aktiv am Gemeindeleben und errichtete
dort, wo Burgweg und Heilmannstraße aufeinandertreffen, die Mariensäule.
Es wurde auch weiterhin auf Schwaneck turniert und bankettiert. Alljährlich veranstaltete man Maiausflüge durch den Hesseloher Wald nach Schwaneck,
deren Regisseure die Maler Neureuther und Schwind waren und die durch die Beschreibung des Maiausfluges der Münchener Künstler von 1855 durch
Viktor von Scheffel oder Gottfried Keller in die Literatur eingegangen sind. Besondere Resonanz fand das Künstlerwaldfest vom 21. Juni 1879, dessen
,,Erstürmung der Burg Schwaneck" die Zeit der Bauernkriege von 1525 nachstellte. Ritter und Landsknechte verteidigten die Burg gegen heranrückende
Bauernhaufen. Zu Anlaß dieses Festes erschien das Extrablatt „Der Bauernfreund, Organ für Kneiphausen und Umgebung".
Die Engländerinnen
lm Jahre 1883 starb Ritter von Mayerfels. Seine Erben verkauften Schwaneck, das aus dem Turmkomplex Schwanthalers mit nun anschließender
Hubertuskapelle, Nebengebäuden für Stallungen, der großen Festhalle, einem ebenerdigen westlichen Gebäudetrakt und dem überdachten Wehrgang
im nördlichen Hofabschnitt bestand, 1885 an die englische Malerin Edith Wenthworth-Dunbar, die wohl eine Erinnerung an englische Herrensitze mit
dem Kauf verband. Etwa seit dem dritten Viertel des 19. Jahrhunderts hatte sich Münchens Ruf als Kunststadt derart gefestigt, daß nun nicht allein die
aus allen Gegenden Deutschlands zugereisten Künstler, die der Münchner, auch heute noch, allesamt unter dem Begriff „Nordlichter" zu subsummieren
pflegte, die Akademien und Zirkel zierten. Es zog indes immer mehr ausländische Künstler von Rang nach München, vor allem Ungarn, Amerikaner und
Angelsachsen. Sie erweiterten im Rahmen dieses privaten Kulturaustausches wechselweise die Horizonte. Vielleicht war es dieses besondere
künstlerische Reizklima, das die Malerin hier zum Verweilen angeregt hatte. Sie war sehr vermögend. Mit ihr lebte Eliza Wenthworth-Dunbar auf
Schwaneck. Die Ära der Dunbars brachte der Burganlage keine nennenswerten baulichen Veränderungen. Die Damen nutzten das weitausgreifende
Grundstück zum Obst- und Gartenbau nach englischem Muster und zogen Profit aus dem bis dahin unergiebigen Besitz.
1886 entstand ein Stallgebäude mit Remise und ein Gewächshaus mit Einfriedung. 1889 folgte die Neuordnung des zugehörigen Areals westlich vom
Burgweg. Dort wurde hinter einer Einfriedung ein Garten mit Treibhäusern angelegt.
Die fehlenden Bauaktivitäten in dieser Zeit sind wohl darauf zurückzuführen, daß die Anlage in dem Wohnkomfort, den sie bot, den Damen und ihrem
Lebensstil vollauf genügte und es ohnehin nicht beabsichtigt schien, für immer hier zu bleiben. Durch eine Sammlung wertvoller Ostasiatica bekamen
nun allerdings die der mittelalterlichen Zeit verpflichteten Räume eine andere Note. Sie mag eines gewissen Verfremdungseffektes nicht entbehrt haben;
insgesamt jedoch wurde durch sie der einheitliche Charakter nicht durchbrochen. Diese nicht unbedeutende Sammlung ostasiatischer
Kunstgegenstände hinterließen die Dunbars bei ihrem Weggang von Schwaneck im Jahre 1899 dem Kunstmaler David Franz, der seit Schwanthalers
Zeiten dort treu seines Amtes als Kastellan gewaltet hatte.
Die Zeit der Engländerinnen auf Schwaneck, nicht durch bauliche Manifestationen verewigt, ist auch sonst nur schwach dokumentiert. Den Pullachern
sind sie als Wohltäterinnen in die Gemeindechronik eingegangen. Sie waren in echt angelsächsischer Geisteshaltung förderlich im Gemeinwesen tätig
und versorgten die Armen und Alten der Gemeinde. Auf der Burg gaben sie zahlreiche Bälle und stifteten bei diesen Gelegenheiten die Bürger zu
praktischem Sozialengagement an.
Die Erinnerung an die Burgfeste auf Schwaneck lebte am 26. Mai 1894 noch einmal, ein letztesmal, mit einem Künstlerfest ganz im Geiste Schwanthalers
auf. Es wurde als 25. Habenschadenfeier zur Erinnerung an Sebastian Habenschaden veranstaltet, einem Mitglied des frühen Schwanthalerkreises, der
sommers regelmäßig Aufenthalt in Pullach nahm. Heute noch erinnert das Café Habenschaden an ihn. Auf ihn bezogen sich die vielgerühmten
Habenschadenfeiern der Münchener Künstlerschaft auf der Burg Schwaneck, die alljährlich im Mai stattfanden und später in den Pullacher „Rabenwirt"
verlegt wurden. Als Habenschaden starb, hinterließ er sein Vermögen dem Künstler-Unterstützungsverein, der mit dem Fest 1894 sein 50jähriges
Jubiläum auf der Burg beging. ln Anwesenheit von Prinzregent Luitpold und trotz strömenden Regens wurde das Festprogramm mit obligatem Maiwein
und Maitanz durchgezogen. Die Künstler stellten - ein Spiel über ein Spiel - die alte Burgmannschaft mit Ludwig und Xaver Schwanthaler, mit Pocci,
Habenschaden, Ferdinand von Miller und all den anderen dar, wie sie zu ihrer Zeit, mittelalterlich kostümiert, ihre Ritterfeste auf Schwaneck feierten. Für
die Aufführung „Die Sieben Raben“ wurde im Walde verborgen der verwitterte Rabenturm erbaut - ein Stück Ruinenromantik, gekrönt von einem riesigen
Vogelhorst, in dem die sieben Raben wie im gleichnamigen Märchen bis zu ihrer Erlösung ausharren mußten. Mit bengalischer Festbeleuchtung ging
dieses letzte traditionelle Burgfest zuende. ln unverbrüchlicher Liebe zur Kunst und Poesie, die das neue Geschlecht ebenso beseelte wie das alte,
erschienen die Geister von Schwaneck ein letztesmal.
Von der Burg zur Gründerzeit-Villa
Nach dem Weggang der Engländerinnen erwarb den Schwanecker Besitz der Kommerzien- und Geheimrat Zivilingenieur und Baumeister Jakob
Heilmann. Seine Titel verraten, daß wir uns in der sogenannten Gründerzeit befinden. Jakob Heilmann war der typische Vertreter einer neuen,
aufstrebenden Klasse - gebildet, selbstbewußt zupackend und immer mit dem richtigen Gespür für erfolgreiche Investitionen. Mit diesen Eigenschaften
ausgestattet, begann das kleine Bürgertum seit der Mitte des Jahrhunderts seinen Aufstieg zur Bourgeoisie, zur staatstragenden Macht der Gründerzeit.
Der deutschen Wirtschaft gelang in diesen Jahren der Schritt hinaus in die Welt; sie nahm einen ungeheuren Aufschwung. Die Bevölkerung wuchs
explosionsartig und mit ihr die Großstädte mit der ganzen Problematik sich zu schnell entwickelnder Ballungsräume. Sport und Wanderbewegungen
wollten die Menschen aus der Enge der Mietskasernen-Ouartiere befreien und Ausgleich zum ungesunden Großstadtleben schaffen. Von München aus
war es nun nur noch ein Katzensprung zur Burg Schwaneck, denn seit 1890 wurde an der Bahnstrecke nach Wolfratshausen, der sogenannten
Isartalbahn, gebaut. Die rasche Erschließung dieser reizvollen Gegend für die Gesamtheit der Münchener Bevölkerung war eingeleitet; die Ansiedlung
von Industrie profitierte mit.
Jakob Heilmann, der Bauunternehmer. errichtete in den 90er Jahren vorbildliche Garten- und Villenstädte an der Peripherie Münchens, u.a. auf der
heutigen Prinz Ludwigshöhe im südlichen Isartal. Er war auf mannigfaltige Weise mit der Entwicklung dieser Gegend verknüpft. Auf seine Initiative hin
entstanden die Isarwerke (heute Isar-Amperwerke), die die Stadt München mit Elektrizität versorgen sollten. Ouerelen verschiedenster Art beschränkten
aber viele Jahre lang das Wirken des Werkes. so daß anfänglich nur die Isartalgemeinden von der Verteilung erfaßt wurden. So kam es, daß Pullach als
eine der ersten Gemeinden im Umkreis mit Strom versorgt war.
In München kennt man Jakob Heilmann hauptsächlich als Inhaber der damals mächtigsten süddeutschen Baufirma Heilmann & Littmann, gegründet
1870, die nahezu halb München erbaut hat. Das Jahrbuch der Millionäre in Bayern gibt dann auch sein Vermögen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges
mit 10 Millionen Mark und das jährliche Einkommen mit nicht weniger als einer halben Million Mark an.
Sofort nach Erwerb von Schwaneck ging Heilmann daran, Burg samt dazugehörige 33 Tagwerk Grund als Familiensitz mit hochherrschaftlichem Anspruch
neu zu ordnen" Repräsentation und Selbstdarstellung waren zu Grundbedürfnissen der aufstrebenden bürgerlichen Gesellschaftsschichten geworden.
Allenthalben entstanden prächtige Villen- und Geschäftsbauten in Erfüllung dieses Anspruches. So erscheint es nur folgerichtig, wenn Heilmann sein
Hauptaugenmerk auf die Errichtung eines ausreichend großen und komfortablen Repräsentationsbaues wandte, der sich dem im mittelalterlichen Stil
Vorhandenem einfühlsam anpassen sollte. Der Gedanke der Denkmal- und Ortsbildpflege war weiten Kreisen schon geläufig. Zurückgehend auf die
Verordnungen König Ludwigs L wirkte in Bayern das Königliche Generalkonservatorium der Kunstdenkmale und Altertümer, die heutige
Denkmalpflegebehörde.
Von 1900 bis 1902 entstanden die Ergänzungen, die den Eindruck erwecken, Schwanthalers Burgstall und Mayerfels' romantisch-mittelalterlicher
Rittersitz funktionierte in lebendiger Tradition und ungebrochener Geschlechterfolge. Bedeutungsträger wurde der fünfgeschossige Erweiterungsbau,
der, breitgelagert am Isarhochufer und in unmittelbarer räumlicher Verbindung zu Schwanthalers Bergfried, zumindest in seiner Gruppierung an den
Palas, den Wohn- bzw. Saalbau der Herren mittelalterlicher Burgen, erinnert. Die stilistischen Merkmale dieses architektonischen Entwurfes weisen auf
den sogenannten Heimatstil hin, einem Stil, der in der Architektur um 1900 einsetzte. ln ihm wurden altes Bauhandwerk und die traditionellen Formen
heimatlicher Architektur betont. ln derart entworfenen Bauten verkörperte sich zunächst die Einfachheit und regionale Eigenart im Gegensatz zum
repräsentativen Aufwand und kosmopolitischen Charakter der offiziellen Architektur. Es wurden lokale Bauweisen erforscht, und man gab Baufibeln mit
entsprechenden historischen Beispielen heraus. Bei Bauten der herrschenden Bourgeoisie, wie Villen, Landhäuser, Jagdhütten usw. wurde der Heimatstil
bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gepflegt, der dann in vielen Siedlungsbauten des 20. Jahrhunderts eine Fortsetzung fand. Aus extrem
reaktionärer Haltung entstanden, mündete der Heimatstil schließlich in die völkisch-nationalistisch ideologisierte Kunst der Nazizeit. Der mit
Löwenportal, Giebel-, Erker-, Turmrisaliten und tiefen Hohlkehlen reichgegliederte Heilmann'sche Entwurf orientierte sich bei der Fassadengestaltung, wo
Verputz, Bruchstein, Schindelverkleidung und Elemente des offenen Fachwerks einander ablösen, am heimischen Mittelalter. Gemalte Wappenfriese in
der Traufkehle, gedrechselte und farbig gefaßte Holzsäulchen als Hauptelemente der reichgegliederten Fenster, kupfergedeckte, kegelförmig gebrochene
Dachflächen der Türmchen, das alles bringt eine malerische Komponente ins Bild, die die relativ großen Baumassen der zentralen Burganlage wohl
eigenständig, jedoch nicht dominierend zur Seite stellt. Vom Turm zum Neubau schuf man im Innern Durchgänge; die Aufteilung der Turmgeschosse
wurde als Vorgabe respektiert. Dem holzvertäfelten Altdeutschen Zimmer des ersten Turmobergeschosses folgte im Neubau das Kaminzimmer,
schnitzvertäfelt, mit einem im verhaltenen Spitzbogenstil schön gefaßten Kamineinbau. Als Salons folgten das heutige Erkerzimmer, wo das
Lüsterweibchen im Fenstererker hängt und das Spiegelzimmer mit einer Louis Seize-Dekoration, die vom Rokoko zum Klassizismus überleitet. Es folgte
das Speisezimmer, das heute noch im Deckenbereich mit einem wundervollen Jugendstildekor prangt. Den Übergang zum Wirtschaftstrakt mit
Gesinderäumen und Futterboden bildete, an gleicher Stelle wie heute, der Küchenbereich. Dem zweiten Turmobergeschoß des Schwanthaler-Turmes,
nun als Bauernstube eingerichtet, schlossen sich im Heilmann-Trakt eine Reihe von Zimmern an, die der familiären Nutzung der Bewohner vorbehalten
blieben. Kammern, Trockenboden und nordöstlich ein geräumiges Künstleratelier waren im zweigeschossigen Dachboden integriert. Dem Wohnbau
anschließend folgte, heute nicht mehr vorhanden, der flachere Trakt mit den Stallungen, der Wagenremise und anderen Wirtschaftsräumen. Eine offene
Säulenstellung zum Stallhof und ein übereckgesetzter Tränkbrunnen lockerten die Fassade auf. Der zwischen Wohn- und Wirtschaftstrakt eingestellte
halbrunde Treppenturm erschloß die hauswirtschaftlichen Bereiche.
Eine Lieblingsidee Heilmanns war es, die seit je auf der Burg angesiedelten zünftigen Geselligkeiten weiterzuführen. Die große Trinkhalle Mayerfels', der
sogenannte Humpenburgbau, mittlerweile baufällig geworden, wurde jetzt als Fest- und Jagdhalle im erweiterten Burgbereich zwischen Schwanthalers
Turm und Hubertuskapelle einer- und Schloßgarten andererseits neu gebaut. Große, nur sparsam gegliederte Wandflächen werden von einer stattlichen
Dachkonstruktion beherrscht. lm lnnern der Halle dominiert das mächtige Gebälk des offenen Dachstuhles, dessen Balkenköpfe als farbig bemalte und
furchterregende Drachenköpfe enden. Wie seine Vorgänger dekorierte Heilmann den Rittersaal mit alten Rüstungen und Waffen, die bis zum Einzug der
Amerikaner 1945 dort verblieben.
Schwanthalers Bergfried setzte Heilmann eine Altane als Eingangsbau vor. Dadurch wurde die Originalsituation der dort vorhandenen Reliefs verändert.
Dann wurde der Burghof vergrößert und neugestaltet. Der Zugang zum Hof, etwa an der Stelle, wo er heute wieder ist, erhielt eine dreiteilige Einfahrt mit
zwei Nebentoren. Die feste Umfassungsmauer wurde mit Gittern durchbrochen und von eingestellten Mauerpfeilern abgestützt. Diese Auflockerung
nach außen hin gab der Anlage das Gesicht eines Schlosses eher denn einer Burg. In dieses Bild paßte nun auch der südlich auf der Isarseite angelegte
Schloßgarten, der sich mit Terrassen, Wasserbassin, geometrischer Bepflanzung und Blumenrabatten zum Gartenparterre französischer Schloßanlagen
in Bezug setzt. Kegelstube, Kegelbahn und ein Auslugpavillon grenzen den Schloßgarten zum Burggraben hin ab. Ein Burgtor durfte dennoch nicht
fehlen. Schwaneck, nun halb Burg, halb Schloß, erhielt südlich ein Spitzbogentor im mittelalterlichen Kostüm, mit Stufengiebel und Zugbrücke über den
Graben, dem ein altes Holztor aus der spätmittelalterlichen Münchener Stadtbefestigung eingesetzt wurde. Über die felsigen Abhänge führte man einen
romantischen Steig zur Isar hinab.
Nach Fertigstellung aller Baumaßnahmen konnte nach 1902 wieder ein reges gesellschaftliches Leben auf Schwaneck beginnen. Illustre Gäste wurden
begrüßt, neben Angehörigen des Hauses Wittelsbach auch Bismarck, dessen Leibarzt Dr. Schweninger 1906 auf Schwaneck wohnte, ehe er seine im Bau
befindliche Villa auf der Prinz-Ludwigshöhe beziehen konnte. Der Malerfürst Lenbach kam mit seiner Frau, der Gräfin Moltke, die in zweiter Ehe den Arzt
Schweninger heiratete. Es kamen der Maler Stuck und der Bildhauer Heinrich Waderé, der das Denkmal für Richard Wagner vor dem Münchener
Prinzregententheater geschaffen hat.
In diesen Jahren zu Anfang des neuen Jahrhunderts wurden noch einige Nebengebäude ausgeführt, so 1902 das Gärtnergewächshaus am Burgweg, das
heute die äußere Einfahrt markiert. 1904 begann man mit dem Bau einer Portiersvilla im Heimatstil, „welche den Charakter der Portierswohnung mit
denjenigen der Burg Schwaneck in Einklang bringen soll“. Dieses Gebäude wurde schließlich nach Planänderung - ein Entwurf mit spätgotischen Details
liegt 1907 dazwischen - am südlichen Ende des Heilmann'schen Grundstücks, mit einer überdachten Kutschendurchfahrt, 1911 vollendet. 1933 baute
man es zu einem reinen Wohnhaus um, 1934 hat man es verkauft, und 1967 schließlich, nach einem Isarhangrutsch baufällig geworden, mußte es
abgebrochen werden. 1906 bestand die Absicht, die dann aber aufgegeben wurde, den Wohnbereich auf das Obergeschoß der Hubertuskapelle
auszudehnen und auch im Dachstuhl des Humpenburgbaues Wohnräume zu integrieren.
Im Jahre 1921 erschienen Jakob Heilmanns Lebenserinnerungen, die er auf Schwaneck geschrieben hatte; noch im gleichen Jahr starb er. Seine Söhne
Albert und Otto übernahmen den Besitz, der durch Erbausgleich schließlich allein an den Architekten und Konsul Otto Heilmann fiel. Neue Gebäude
entstanden nun nicht mehr. Das Alte zu erhalten, war in der Zeit zwischen den beiden großen Kriegen mühevoll genug. ln der Kapelle fanden noch die
Hochzeiten der Familienmitglieder statt, und die Säle wurden zu Sitzungen genutzt, u.a. tagten die Freunde der Bayerischen Volkspartei hier und
regelmäßig am 23. Juni, dem Luxemburgischen Tag, wurde auf der Burg Schwaneck der neugewonnenen Eigenstaatlichkeit des Luxemburger Landes
gedacht.
Als einziges Stück, das von Schwanthalers großer Mittelaltersammlung auf Schwaneck übriggeblieben war, fand man eine im Burgbereich in die Erde
versenkte Blumenschale, die, ausgegraben, sich als schöner romanischer Taufstein herausstellte. Otto Heilmann stiftete ihn in die neue Pullacher Kirche.
Alte Burg für junge Leute
Es war nun nicht mehr zeitgemäß, ganz abgesehen davon, daß es eines unverhältnismäßig hohen finanziellen Aufwandes bedurft hätte, die Burg mit
ihren zugehörigen Ländereien als Familiensitz weiterhin in Privathand zu halten. Und so recht genutzt wurde Schwaneck nun schon seit langem nicht
mehr. Zwar zechte in den 50er Jahren die Münchener Künstlergesellschaft „Allotria" noch einigemale auf der Burg. Auch tagte der private
Naturwissenschaftliche Interessenkreis seit 1948 regelmäßig im Erkerzimmer, das dadurch in den Genuß einer neuen Vertäfelung gekommen ist. Und im
Rittersaal fanden jeweils die Abschlußabende der Volkshochschule statt. So entschloß sich die Heilmann'sche Erbengemeinschaft zum Verkauf.
Verschiedene Interessenten traten auf den Plan, deren Nutzungsvorhaben aber in keiner Weise der historischen Verpflichtung diesem Baudenkmal
gegenüber entsprachen. Glücklicherweise haben die Witwe des letzten Besitzers, die als Bevollmächtigte der Erbengemeinschaft verhandelte und der
Landkreis München das im richtigen Moment erkannt. Der Impuls, auf der Burg einen Ort der Jugendbegegnung einzurichten, ging von der Bildhauerin
und Kreistagsabgeordneten Frau Charlotte Dessecker-Heilmann und ihrer vorwärtsgewandten, der Jugend zugeneigten Haltung aus. lm November 1955
kaufte der Landkreis München die Burg Schwaneck zu einem Preis, für den man, wie betont wird, heute in Pullach gerade noch eine Eigentumswohnung
erwerben könnte. Am 28. April 1956 wurde die Burg Schwaneck samt der dazugehörigen 5 ha Umland in einem feierlichen Festakt dem Kreisjugendring
München-Land, der bis dahin in unzumutbaren räumlichen Verhältnissen in einem Provisorium in Schleißheim bei München hausen mußte, übergeben.
Die Symbolik der Übergabefeier, bei der an einem Tag Prominente als Burherren fungierten und am nächsten Tag 2000 Jugendliche durch eine
Belagerung sich ihre Burg „ertrotzten", stand in allerbester Tradition der Ritterspiele des Erbauers Ludwig von Schwanthaler.
Um die Burg als Geschäftssitz des Kreisjugendringes, als Jugendherberge, Ferienzentrum und Schulungsstätte nutzen zu können, waren noch etliche
Umbauten erforderlich. Ein bunt gefächertes Angebot macht Schwaneck nicht nur für Globetrotter aus aller Welt interessant. Jährlich steht die Burg der
Jugend des Landkreises in den Sommerferien zur Verfügung. 1964 wurden die sofort sehr gut angenommenen „Schwanecker Politischen Seminare"
eingerichtet; zahlreiche weitere Seminare stecken eine breite Themenpalette ab. Die Angebote reichen vom politischen, ökologischen über den musisch-
kreativen, das sind u.a. konzertante Aufführungen, Pantomime oder Filmen, bis zum psychologisch-soziologischen Bereich. Jugendleiterschulungen und
von verschiedenen Jugendorganisationen abgehaltene Lehrgänge runden das Programm ab. 1973-1975 mußte der Landkreis noch einmal tief in die
Tasche greifen, wobei Herrn Landrat Dr. Joachim Gillessen, der sich stets mit viel persönlichem Engagement für die Geschicke der Burg Schwaneck
einsetzte, große Verdienste zukommen.
Der starke Besucherandrang ließ schon seit längerem einen Erweiterungsbau und die erneute Sanierung der Altbausubstanz dringlich werden. Der
Architekt Kurt Bojanowski ordnete im nördlichen Burghof einen langgestreckten Neubau an, der, in Ziegelbauweise, mit vorgestelltem, gebrochenen
Treppenturm und den Schleppgauben in steiler Dachfläche in zurückhaltender und denkmalpflegerisch gelungener Weise die spätgotischen Elemente
der alten Burganlage anklingen läßt.
Die in romantischer Sehnsucht erbaute Burg Schwaneck hatte damit ihre letzte Vollendung zu einer der schönsten Jugendherbergen Europas erfahren.
Daß sie auch zu den beliebtesten zählt, davon zeugen die 800.000 Übernachtungen in den 30 Jahren seit ihrem Einzug 1856. Unter der Trägerschaft des
Kreisjugendrings München-Land wird die Burg Schwaneck ohne Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln völlig selbsterhaltend und kostenauskommend
geführt. Die Investitionen des Landkreises München tragen somit schon lange reiche Früchte.
An weiterführender Literatur wurden verwendet:
Andreas Ley, Die Villa als Burg. Ein Beitrag zur Architektur des Historismus im südlichen Bayern. 1842-1968. München (1981).
ders., Schwaneck - Früher Jugend schöner Traum, in: Die lsar. Ein Lebenslauf. Kat. d. Ausst. Münchener Stadtmuseum 5. Mai bis 25. September 1983. S. 138-146.
Der Kreisjugendring München-Land dankt dem Stadtmuseum München für die Genehmigung zur Abbildung des Aquarells „Burg Schwaneck“ von Jakob, 1848.
circulus saltans puelach Tänze der Deutschen Renaissance | © 2024 | Wolfratshauser Str. 64c | 82049 | Pullach i. Isartal | 17.02.2024